Wenn Streiten zum Prinzip wird

Nicht nur in mili­tä­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen gibt es soge­nann­te Stell­ver­tre­ter­krie­ge. Es gibt sie – in etwas ande­rer Form – lei­der auch im Fami­li­en­recht. Dann, wenn Eltern um das Kind strei­ten, es eigent­lich aber noch um nicht ver­ar­bei­te­te Kon­flik­te, Ver­let­zun­gen und Ent­täu­schun­gen auf der Paa­re­be­ne geht. Das ist nicht nur destruk­tiv, son­dern es scha­det vor allem dem Kind.

In einem aktu­el­len fami­li­en­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren bin ich zum Ver­fah­rens­bei­stand bestellt wor­den. Die Eltern strei­ten seit Jah­ren vor dem Fami­li­en­ge­richt. Es waren zahl­rei­che Ver­fah­ren bezüg­lich des Sor­ge- und Umgangs­rechts anhän­gig. Hin­ter­grund ist eine kurz­zei­ti­ge Ehe, aus der ein gemein­sa­mes Kind her­vor­ge­gan­gen war, das sich inzwi­schen im Grund­schul­al­ter befin­det. Die Fron­ten könn­ten kaum ver­här­te­ter sein. Die Mut­ter behaup­tet, vom Kin­des­va­ter in der Ehe kör­per­lich miss­han­delt wor­den zu sein. Ein straf­ge­richt­li­ches Ver­fah­ren brach­te kein Licht ins Dunk­le, das Ver­fah­ren wur­de ein­ge­stellt. Es gab eine “Aus­sa­ge gegen Aussage”-Konstellation. Unstrei­tig ist, dass sich der Vater stets für­sorg­lich um das gemein­sa­me Kind küm­mer­te. Bei­de Eltern leben inzwi­schen in neu­en Part­ner­schaf­ten. Das Kind wird für die Umgän­ge vom neu­en Part­ner der Mut­ter an den Vater über­ge­ben, was von bei­den Eltern als sinn­voll und kon­struk­tiv beschrie­ben wird. Die Über­ga­be erfolgt seit Jah­ren auf einem Spiel­platz. Der Kin­des­mut­ter gehe es – so beschreibt sie es jeden­falls sel­ber – um ihre Sicher­heit.

In dem nun­meh­ri­gen Ver­fah­ren geht es um einen Antrag des Kin­des­va­ters nach § 1686 BGB. Danach kann jeder Eltern­teil vom ande­ren Eltern­teil bei berech­tig­tem Inter­es­se Aus­kunft über die per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se des Kin­des ver­lan­gen, soweit dies dem Wohl des Kin­des nicht wider­spricht. Kon­kret geht es um die Wohn­an­schrift des Kin­des bei der Kin­des­mut­ter, die dem Kin­des­va­ter nicht bekannt sei und wes­halb die Über­ga­be seit Jah­ren auf dem Spiel­platz statt­fin­de. Das Ziel des Aus­kunfts­be­geh­rens zum jet­zi­gen Zeit­punkt unklar.

Ich besu­che das Kind im häus­li­chen Umfeld der Kin­des­mut­ter. Im Gespräch mit mir bricht die Kin­des­mut­ter in Trä­nen aus, erzählt über die für sie trau­ma­ti­schen Erleb­nis­se mit dem Kin­des­va­ter. Sie befin­de sich des­halb in The­ra­pie. Die Aus­kunfts­sper­re im Mel­de­re­gis­ter bedeu­te für sie einen gewis­sen Schutz ihres Lebens­mit­tel­punk­tes. Mit einer Desta­bi­li­sie­rung ihrer psy­chi­schen Ver­fas­sung sei zu rech­nen, wenn der Kin­des­va­ter vor dem Abschluss der the­ra­peu­ti­schen Auf­ar­bei­tung über die Anschrift ver­fü­ge.

Ich emp­feh­le dem Gericht, den Antrag abzu­leh­nen. Aus mei­ner Sicht kann dahin­ste­hen, ob es tat­säch­lich zu den von der Kin­des­mut­ter behaup­te­ten Ereig­nis­sen gekom­men ist. Allein der Umstand, dass die Kin­des­mut­ter die Mit­tei­lung ihrer Wohn­an­schrift sub­jek­tiv als Bedro­hung erlebt und dar­un­ter desta­bi­li­sie­ren könn­te, was auch ihr The­ra­peut in einer für das Gericht bestimm­ten Stel­lung­nah­me bestä­tigt, führt dazu, dass die Ver­pflich­tung zur Mit­tei­lung der Wohn­an­schrift gegen­über dem Kin­des­va­ter mit dem Wohl des Kin­des, das sei­nen Lebens­mit­tel­punkt bei der Kin­des­mut­ter hat, nicht in Ein­klang zu brin­gen ist. Hin­zu kommt, dass der Kin­des­va­ter die Umgän­ge seit Jah­ren zuver­läs­sig wahr­neh­men kann – auch ohne die Wohn­an­schrift zu ken­nen. Das Fami­li­en­ge­richt teilt mei­ne Auf­fas­sung.

Zum Ende der Anhö­rung die über­ra­schen­de Wen­de: Die Ver­fah­rens­be­voll­mäch­tig­te des Kin­des­va­ters erklärt, dass ihr die Anschrift der Kin­des­mut­ter längst bekannt sei. Ihr Man­dant wol­le die Anschrift aber von der Kin­des­mut­ter hören. Es gehe ihm um das Prin­zip. Alle Anwe­sen­den ver­dre­hen die Augen.

Paar­be­zie­hun­gen und Ehen kön­nen schei­tern. Tra­gi­scher­wei­se häu­fig gera­de dann, wenn ein Kind mit im Spiel ist und man sich – auch unter Berück­sich­ti­gung einer neu­en All­tags- und Lebens­si­tua­ti­on – noch ein­mal von einer ganz ande­ren Sei­te ken­nen­lernt. Zum Glück leben wir in einer Zeit, in der das – zumin­dest in unse­rer Kul­tur – gesell­schaft­li­che Akzep­tanz fin­det. Das Leben ist zu kurz, um in einer dau­er­haft unglück­li­chen Bezie­hung zu blei­ben. Selbst dann, wenn Haus und Hof sowie ehe­li­che Lebens­ge­mein­schaft auf dem Spiel ste­hen. Patch­work­kon­stel­la­tio­nen sind inzwi­schen genau so nor­mal wie klas­si­sche Fami­li­en- und Lebens­kon­struk­te. Sie kön­nen sogar für alle Betei­lig­ten eine Chan­ce sein.

Auch Kin­der kön­nen unter die­sen Bedin­gun­gen scha­den­frei auf­wach­sen. Vor­aus­set­zung dafür ist vor allem eine gan­ze Men­ge Dis­zi­plin der Kin­des­el­tern und die Bereit­schaft, das Wohl des Kin­des über die eige­nen Inter­es­sen und Befind­lich­kei­ten zu stel­len. Häu­fig eine Mam­mut­auf­ga­be, für deren Bewäl­ti­gung es manch­mal auch pro­fes­sio­nel­ler Hil­fe und Unter­stüt­zung bedarf. Für das Ziel, dem gemein­sa­men Kind ein unbe­las­te­tes und kind­ge­rech­tes Leben außer­halb der elter­li­chen Streit­kul­tur zu ermög­li­chen, soll­te man den Auf­wand jedoch nicht scheu­en.

Fami­li­en­ge­rich­te kön­nen den Weg nur ebnen. Gehen müs­sen ihn die Kin­des­el­tern selbst. Eine wich­ti­ge Rol­le über­neh­men dabei auch Rechts­an­wäl­te. Gute und erfah­re­ne Rechts­an­wäl­te im Fami­li­en­recht strei­ten nicht aus Prin­zip. Sie ver­su­chen in kind­schafts­recht­li­chen Ver­fah­ren am Kin­des­wohl ori­en­tier­te Lösun­gen zu fin­den. Im Ide­al­fall haben sie auch ihre Man­dan­ten ein wenig im Griff.     fs

Bild­nach­weis: KI-Gene­rie­rung (Per­ple­xi­ty)

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