Patient 6412807* hat jetzt keinen Betreuer mehr.

Und das war passiert:

Ich werde im Novem­ber 2024 durch einst­weilige Anord­nung bestellt. Die Bestel­lung ist befris­tet bis zum 18.05.2025. Der Betreute ist unbekan­nt. Zumin­d­est namentlich. Die Bestel­lung erfol­gt daher für Patient Nr. 6412807 ein­er Ham­burg­er Klinik. Dort liegt Patient Nr. 6412807 auf der Inten­sivs­ta­tion. Kün­stlich beat­met und dial­y­sepflichtig, kurz vor einem Mul­ti­or­gan­ver­sagen. Der Betreute ist Ende 30 und brach auf ein­er Park­bank zusam­men. Die Diag­nose: Ent­gleis­ter Dia­betes mel­li­tus Typ I mit Ketoazi­dose und Enzephalopathie auf dem Boden ein­er Poly­toxiko­manie. Die Enzephalopathie beschreibt eine Schädi­gung von Hirn­funk­tio­nen. Das Über­leben ist ungewiss.

Der Betreute wird in den fol­gen­den Monat­en in ver­schiede­nen Ham­burg­er Kliniken behan­delt und ist nach einiger Zeit wieder ansprech­bar, auch wenn gewisse hirnor­gan­is­che Ein­schränkun­gen deut­lich sicht­bar bleiben. Patient Nr. 6412807 kann mir seinen Namen ver­rat­en, so dass ich endlich einen Betreuer­ausweis mit der richti­gen Iden­tität des Betreuten in den Hän­den halte. Die Betreu­ung mit den Auf­gaben­bere­ichen der Gesund­heitssorge und der Behör­den- bzw. Sozialver­sicherungsan­gele­gen­heit­en macht dur­chaus Sinn. Ich kann vor­läu­fig Leis­tun­gen nach dem SGB II sich­er­stellen, für einen Kranken­ver­sicherungss­chutz sor­gen und auch die Weit­er­be­hand­lung im Rah­men ein­er Frühre­ha­bil­i­ta­tion sich­er­stellen. Der Betreute nimmt die Hil­fe dank­end an.

Im Mai 2025 lebt der Betreute in ein­er von mir organ­isierten Notun­terkun­ft und ist ambu­lant an eine umfassende ärztliche und ther­a­peutis­che Weit­er­be­hand­lung ange­bun­den. Er wartet darauf, dass er mit der geplanten sta­tionären Sucht­ther­a­pie begin­nen kann. Dass er mit Ende 30 fast gestor­ben wäre, hat ihn inner­lich aufgerüt­telt. Langzeitschä­den sind wahrschein­lich. Noch immer fällt ihm das Sprechen und Schluck­en schw­er.

Das Betreu­ungs­gericht fragt mich, ob eine Betreu­ung auch in der Haupt­sache notwendig und sin­nvoll erscheine. Ich beja­he und berichte über den bish­eri­gen Ver­lauf. Außer­dem erk­läre ich, dass der Betreute mit ein­er Betreu­ung ein­ver­standen sei und meine Hil­fe weit­er­hin in Anspruch nehmen wolle. Ich füge auch die lan­gen Ent­las­sungs­berichte aus den behan­del­nden Ham­burg­er Kliniken bei.

Dann passiert über Wochen gar nichts. Es gibt wed­er weit­ere Rück­fra­gen noch einen Beschluss für die Ein­hol­ung eines Sachver­ständi­gengutacht­en, um den Sachver­halt weit­er aufzuk­lären. Am 18.05.2025 erre­ichen wir den Tag, bis zu dem meine Bestel­lung mit einst­weiliger Anord­nung aus dem Novem­ber 2024 befris­tet war. Ich weise das Gericht noch am sel­ben Tag auf diesen Umstand hin.

Bere­its am 19.05.2025 erre­icht mich die Antwort des Gerichts: Suchterkrankun­gen recht­fer­tigten keine Betreuerbestel­lung. Es sei daher die form­lose Ein­stel­lung beab­sichtigt. Die vor­läu­fige Bestel­lung sei außer Kraft.

Das Gericht ver­weist in seinem Schreiben vom 19.05.2025 nicht nur auf eine Entschei­dung des BGH vom 25.03.2015 (XII ZA 12/15), die inhaltlich nicht wirk­lich etwas mit der Frage zu tun hat, ob eine Suchterkrankung eine Betreuerbestel­lung recht­fer­ti­gen kann, da sie sich in erster Lin­ie mit den Voraus­set­zun­gen der zivil­rechtlichen Unter­bringung zum Schutz vor Selb­st­ge­fährdung bei einem alko­holkranken Betrof­fe­nen befasst, son­dern es zeigt auch deut­lich, was man in let­zter Zeit auf­grund der Über­las­tung des gesamten Sys­tems Betreu­ung immer häu­figer beobacht­en muss: Dass auch Gerichte häu­fig keine Lust mehr haben, ihre Arbeit zu erledi­gen.

Eine Suchterkrankung allein kann keine Bestel­lung eines Betreuers i.S.d. § 1814 Abs. 1 BGB begrün­den. Das war auch schon vor der Ein­führung des § 1814 BGB mit Blick auf den § 1896 BGB a.F. so. Hier hat sich also durch die Reform des Vor­mund­schafts- und Betreu­ungsrechts nicht wirk­lich etwas geän­dert. Das Gericht hat sodann im Rah­men des Amt­ser­mit­tlungs­grund­satzes — nöti­gen­falls unter Ein­hol­ung eines Sachver­ständi­gengutacht­ens — aufzuk­lären, ob die Suchterkrankung — etwa durch ihren jew­eili­gen Schw­ere­grad und/oder aus ihr resul­tieren­der physis­ch­er bzw. psy­chis­ch­er Beein­träch­ti­gun­gen einen Zus­tand zur Folge hat, der es einem Volljähri­gen nicht mehr erlaubt, seine Angele­gen­heit­en ganz oder teil­weise selb­st zu besor­gen. Das wiederum ist auch bei jed­er anderen Erkrankung oder Behin­derung i.S.d. § 1814 Abs. 1 BGB der Fall. Hier hätte eine solche Aufk­lärung des Sachver­haltes ohne jeden Zweifel ergeben, dass die Voraus­set­zun­gen für eine Betreuerbestel­lung auch in der Haupt­sache vor­liegen. Dazu hätte nur das Gericht tätig wer­den müssen, dem auch im Bere­ich des Betreu­ungsrechts die Sich­er­stel­lung eines rechtsstaatlichen Ver­fahrens obliegt.     fs

*Patien­ten­num­mer aus Daten­schutz­grün­den geän­dert.

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