Hirntod auf Raten: Warum wir dringend auch in der forensischen Psychiatrie über irreversible Langzeitschäden durch Psychopharmaka reden müssen

Es klingt pro­vo­ka­tiv, ist aber Fakt: Die Todes­stra­fe ist seit 1949 in Deutsch­land abge­schafft. Das ergibt sich aus dem Grund­ge­setz, das am 23. Mai 1949 in Kraft trat, nament­lich aus dem Arti­kel 102 GG. Und das Grund­ge­setz schließt – eben­so wie die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on – Fol­ter sowie men­schen­un­wür­di­ge Behand­lun­gen aus. Bedin­gungs­los. Auch dann, wenn Men­schen mit dem Gesetz in Kon­flikt gera­ten sind.

Jetzt ist in der Geschich­te der Mensch­heit das Pro­blem nicht neu, dass sich mit­un­ter auch die Medi­zin unter dem Deck­man­tel der Wis­sen­schaft Behand­lun­gen bedient, die als Fol­ter oder men­schen­un­wür­dig zu betrach­ten sind. Wenn man an die ärzt­li­chen Ver­bre­chen des Natio­nal­so­zia­lis­mus denkt, manch­mal aus der puren Lust am Quä­len. Oft­mals aber auch aus der Hilf­lo­sig­keit her­aus, etwa wenn das medi­zi­ni­sche Wis­sen und Ver­ständ­nis an sei­ne Gren­zen stößt. So wie bei­spiels­wei­se bei der Psy­cho­ch­ir­ur­gie in der Gestalt der Lobo­to­mie, wie man sie noch bis in die 1960er Jah­re durch­ge­führt hat. Das Ziel: Psy­chi­sche Erkran­kun­gen durch die Zer­stö­rung von Hirn­struk­tu­ren zu hei­len. Die Rea­li­tät: Häu­fig schwe­re Per­sön­lich­keits­ver­än­de­run­gen und Ver­lust der Intel­li­genz bis hin zu einer schwe­ren geis­ti­gen Behin­de­rung.

Zum Glück sind Men­schen lern­fä­hig. Zumin­dest hirn­chir­ur­gi­sche Ein­grif­fe, die auf die pure Zer­stö­rung von Hirn­struk­tu­ren abzie­len, gehö­ren – zumin­dest im euro­päi­schen Lebens­raum – der Ver­gan­gen­heit an. In der Psych­ia­trie ist das sicher­lich auch der Erfin­dung des ers­ten Neu­ro­lep­ti­kums, dem Chlor­pro­ma­zin, geschul­det, das in Deutsch­land 1953 unter dem Pro­dukt­na­men Mega­phen auf den Markt kam. Das Ver­spre­chen: Schwe­re psy­chi­sche Erkran­kun­gen wie Psy­cho­sen aus dem schi­zo­phre­nen For­men­kreis soll­ten sich fort­an men­schen­wür­dig und ohne mas­si­ve Lang­zeit­schä­den scho­nend behan­deln las­sen. Aber auch das stell­te sich schnell als falsch her­aus. Inzwi­schen kann durch ver­schie­de­ne Stu­di­en belegt wer­den, dass die län­ger­fris­ti­ge Behand­lung mit einem Neu­ro­lep­ti­kum – selbst im Rah­men der soge­nann­ten Mono­the­ra­pie, also der Behand­lung mit einem ein­zi­gen Wirk­stoff – das Gehirn schrump­fen lässt. In der Medi­zin nennt man das Hirn­atro­phie oder Hirn­vo­lu­men­min­de­rung. Eini­ge For­scher sagen, dass unklar sei, ob die­se Kom­pli­ka­ti­on (nur) durch Medi­ka­men­te bedingt sei oder schon die psy­chi­sche Erkran­kung selbst zum Ver­lust von Hirn­sub­stanz füh­re. Klar ist dar­über hin­aus auch, dass die Akzep­tanz einer Neu­ro­lep­ti­ka­be­hand­lung auf­grund erheb­li­cher Neben­wir­kun­gen häu­fig gering ist. Nicht sel­ten kommt es in der Akut­psych­ia­trie zur Hos­pi­ta­li­sie­rung und zum soge­nann­ten “Dreh­tür-Effekt”. Die Erkran­kung chro­ni­fi­ziert oder wird per­spek­ti­visch schlim­mer.

Natur­ge­mäß sind nun­mehr die meis­ten medi­zi­ni­schen und phar­ma­ko­lo­gi­schen The­ra­pien nicht risi­ko­los. Es muss durch Fach­leu­te stets der medi­zi­ni­sche Nut­zen mit den zu erwar­ten­den Risi­ken abge­wo­gen wer­den. Im Vor­der­grund steht hier das Selbst­be­stim­mungs­recht des Pati­en­ten. Die­ser wil­ligt nach Bera­tung und Auf­klä­rung durch den behan­deln­den Arzt in eine medi­zi­ni­sche Behand­lung ein, kann also für sich ent­schei­den, ob er das mög­li­che oder zu erwar­ten­de Risi­ko ein­geht. Grund­sätz­lich gibt es auch das soge­nann­te Recht auf Krank­heit. Es steht einem Men­schen also auch frei, eine Behand­lung abzu­leh­nen und krank zu blei­ben. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat sogar zuletzt 2020 das nahe­zu bedin­gungs­lo­se Recht auf ein selbst­be­stimm­tes Ster­ben betont.

Bei psy­chi­schen Erkran­kun­gen ist das schwie­ri­ger. Was ist, wenn ein Mensch krank­heits­be­dingt nicht in der Lage ist, sei­nen Wil­len frei zu bil­den? Geschlos­se­ne Behand­lungs­set­tings oder gar ärzt­li­che Zwangs­be­hand­lun­gen wer­den als schwe­re Grund­rechts­ein­grif­fe seit jeher hei­kel dis­ku­tiert. Im Betreu­ungs­recht und in den Psy­chisch-Kran­ken-Geset­zen der Län­der ist das Ver­fah­ren zumin­dest klar und rechts­staat­lich gere­gelt. Es bedarf in der Regel – ins­be­son­de­re bei län­ge­ren Maß­nah­men – einem ärzt­li­chen Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten. Über die Maß­nah­men, die zeit­lich begrenzt sind, ent­schei­det am Ende ein Rich­ter oder eine Rich­te­rin. Bedingt durch die Schwe­re sol­cher Grund­rechts­ein­grif­fe kom­men sol­che Maß­nah­men fer­ner­hin nur zur Abwen­dung erheb­li­cher Gefah­ren in Betracht, im Betreu­ungs­recht etwa bei der Gefahr, dass sich ein Mensch erheb­li­chen gesund­heit­li­chen Scha­den zufü­gen oder selbst töten könn­te.

Dann gibt es jedoch noch Men­schen, die in Fol­ge ihrer schwe­ren psy­chi­schen Erkran­kung straf­recht­lich im Zustand der Schuld­un­fä­hig­keit in Erschei­nung getre­ten sind und nach gericht­li­cher Fest­stel­lung eine Gefahr für die All­ge­mein­heit dar­stel­len. Anlass für eine in der Regel unbe­fris­te­te Unter­brin­gung im Maß­re­gel­voll­zug kön­nen schwer­wie­gen­de Straf­ta­ten sein. Gera­de in den letz­ten Jah­ren und Jahr­zehn­ten führt aber auch ein flä­chen­de­cken­des Feh­len geeig­ne­ter psych­ia­tri­scher Ver­sor­gungs­struk­tu­ren immer häu­fi­ger dazu, dass auch Straf­ta­ten, für die Men­schen, die schuld­fä­hig sind, nicht ein­mal eine Frei­heits­stra­fe zu erwar­ten gehabt hät­ten, zur Unter­brin­gung im Maß­re­gel­voll­zug füh­ren. Das wie­der­um nennt man Foren­si­fi­zie­rung.

Kei­ne Fra­ge, die foren­si­sche Psych­ia­trie steht hier vor viel­fäl­ti­gen Her­aus­for­de­run­gen. Sie muss Men­schen behan­deln, die nicht nur beson­ders schwer erkrankt sind, son­dern sich meis­tens auch zuvor im Bereich der Akut­psych­ia­trie nicht aus­rei­chend sta­bi­li­sie­ren konn­ten. So wie Chris­toph, über den das NDR im Novem­ber 2024 berich­te­te (https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/meldungen/Menschenunwuerdig-Forensische-Psychiatrie-Ochsenzoll-in-der-Kritik,ochsenzoll132.html) und der seit sei­nem 17. Lebens­jahr bzw. seit nun­mehr vie­len Jah­ren unter Bedin­gun­gen, die mit einer dau­er­haf­ten Iso­la­ti­ons­haft ver­gleich­bar sind, im Maß­re­gel­voll­zug unter­ge­bracht ist. Ruhig gestellt mit Medi­ka­men­ten. Medi­ka­men­te, die all­mäh­lich sein Gehirn zer­stö­ren. Ein Cock­tail aus ver­schie­de­nen Neu­ro­lep­ti­ka, von denen nie­mand weiß, zu wel­chen Neben- und Wech­sel­wir­kun­gen es kommt. Ein Cock­tail, der so in kei­ner medi­zi­ni­schen Behand­lungs­leit­li­nie emp­foh­len wird. Seit Jah­ren wei­sen die Eltern von Chris­toph auf die­sen Umstand hin und seit eini­ger Zeit kämp­fe auch ich als Berufs­be­treu­er um die Rech­te und für die Inter­es­sen von Chris­toph, der inzwi­schen das Voll­bild eines schwer intel­li­genz­ge­min­der­ten Men­schen prä­sen­tiert.

Nun folg­te am 16. Mai 2025 eine MRT-Unter­su­chung des Kop­fes, die trau­ri­ge Gewiss­heit bringt: “Alters­un­phy­sio­lo­gisch aus­ge­präg­te, gene­ra­li­sier­te Hirn­vo­lu­men­min­de­rung”. Die behan­deln­den Ärz­te wer­den nun behaup­ten, dass dies nicht Fol­ge der Medi­ka­men­te sei, son­dern der schwe­ren psy­chi­schen Erkran­kung. Sie wer­den sich auf § 10 des Ham­bur­gi­schen Maß­re­gel­voll­zugs­ge­set­zes beru­fen, das unter bestimm­ten recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen eine ärzt­li­che Zwangs­be­hand­lung gestat­tet. Dabei haben sie aber aus den Augen ver­lo­ren, dass gera­de die­se Rechts­grund­la­ge eine ärzt­li­che Zwangs­be­hand­lung nur dann vor­sieht, wenn sie Erfolg ver­spricht. Einen Erfolg, den es seit Jah­ren nicht gibt und für den man mas­si­ve hirn­or­ga­ni­sche Lang­zeit­schä­den zumin­dest bil­li­gend in Kauf genom­men hat, den Hirn­tod auf Raten. Eine Art Todes­stra­fe, leg­timiert durch medi­zi­ni­sche Behand­lung – obwohl von Schuld­un­fä­hig­keit aus­ge­gan­gen wor­den war.

Unse­re Gesell­schaft muss sich fra­gen, wie jetzt und in Zukunft mit schwer psy­chisch kran­ken Men­schen umge­gan­gen wer­den soll. Ein Schick­sal, das jeden tref­fen kann. Die psy­cho­phar­ma­ko­lo­gi­sche Behand­lung mit einem Neu­ro­lep­ti­kum ist wich­tig und in vie­len Fäl­len auch unver­zicht­bar, eben­so wie der Schutz der All­ge­mein­heit. Aber eine sol­che Behand­lung hat auch ihre Schat­ten­sei­ten, die in jedem Ein­zel­fall eine emp­find­li­che Nut­zen-Risi­ko-Abwä­gung erfor­der­lich machen. Die Medi­zin soll­te hier aus der Ver­gan­gen­heit ler­nen und sich trau­en, Hilf­lo­sig­keit zu benen­nen. Hilf­lo­sig­keit, die nicht jede irgend­wie zur Ver­fü­gung ste­hen­de medi­zi­ni­sche Behand­lung recht­fer­ti­gen kann. Gera­de dann, wenn sie irrever­si­ble Lang­zeit­schä­den zur Fol­ge hat. Auch im Bereich der foren­si­schen Psych­ia­trie.     fs

Bild­nach­weis: KI-Gene­rie­rung (Per­ple­xi­ty)

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